Mit ihrem zweiten Album Thin Places, das am 21. November via PACAYA records erschien, schlägt Minru ein sehr intimes Kapitel auf. Entstanden in einer einsamen Waldhütte während eines schwedischen Winters, ist das Werk reduzierter, roher und zugleich strahlender als sein Vorgänger. Wo ihr erstes Album Liminality atmosphärisch dicht und schwebend war, wagt Thin Places die radikale Nähe: weite Klanglandschaften, die mit wenigen, präzisen Akzenten entstehen. Die Songs sind hypnotisch, fast hymnisch, und zeigen, wie viel Kraft in Zurückhaltung steckt. Statt größer und lauter zu werden, zieht Minru die Zuhörer:innen näher heran und eröffnet damit grenzenlose Möglichkeiten für das, was kommt.
Die Musik von Minru fängt das Leuchten der Morgensonne ein, die den Wald erwärmt, und hüllt ihre Hörer:innen in ein Gefühl, das sie durch die Welt begleitet. Ihr Mix aus Folk und Indie-Rock klingt wie aus Licht und Schatten gewebt, mit einem Zusammenspiel, das tanzende Muster entstehen lässt, sobald die Songs zum Leben erwachen. Es weckt im Publikum ein seltenes Empfinden – das Erlebnis, etwas musikalisch Besonderes zu hören, das den Lärm der Außenwelt zum Verstummen bringt und einen in eine magische Welt eintauchen lässt.
Minru ist das Projekt von Caroline Blomqvist, einer Musikerin aus Göteborg (Schweden). Ihre Beziehung zur Musik begann, als sie als Kind die Gitarre für sich entdeckte – so leidenschaftlich, dass sie sogar die Schule schwänzte, um mehr Zeit zum Üben zu haben. In ihrer Jugend spielte sie in verschiedenen Bands in ihrer Heimatstadt, bevor sie nach Berlin zog. Dort gewann Musik eine neue Ernsthaftigkeit: Blomqvist wurde Gitarristin in unterschiedlichen Bands und tourte durch Deutschland. Schließlich wuchs der Wunsch, sich musikalisch selbst auszudrücken und ein Ventil für eigene Songs zu finden – die Geburtsstunde von Minru.
2022 erschien mit Liminality das erste Album – eine Mischung aus geschichteten Akustikgitarren, Klavier und Streichern, ein traumgleicher Ausdruck von Trauer und Verlust, der das Gefühl des Verlorenseins inmitten schwerer Emotionen hörbar machte.
Nach vielen Jahren in Berlin zog Blomqvist zurück nach Göteborg. Ihren Nachfolger Thin Places begann sie auf einer Winterreise in die schwedische Wildnis: In einer abgelegenen Hütte, fernab vom hektischen Stadtleben, entstanden erste Ideen, die nach und nach zu Songs reiften. “I had no plans to write”, erinnert sie sich. “I didn’t feel there was capacity in my head to even think about it. But then playing music and writing became a break from my own head.”
Das Album hat seinen Ursprung in einer schweren Zeit: 2021 kämpfte Blomqvist mit Depressionen, Berlin fühlte sich erdrückend an, verstärkt durch die Pandemie. In der Stille der Natur fand sie jedoch den Raum, um wieder zu atmen und zu schaffen. “I couldn’t really write in Berlin, so I had to go there. It became a big part of my life. I think it always helps me to be isolated when writing. There’s no distraction, there’s good energy from nature.”
Der Titel verweist auf das keltische Konzept der „Thin Places“ – schwer zu definierende Orte, an denen die Schwere des Alltags nachlässt und sich neue Möglichkeiten eröffnen. Die New York Times fasst es so: “Heaven and earth, the Celtic saying goes, are only three feet apart, but in thin places that distance is even shorter.” Für Blomqvist sind es sowohl konkrete Orte – etwa die tägliche Spazierroute rund um die Hütte – als auch Zustände: “It’s a continuation of these ideas of liminal spaces. … That feels like a bit of a thin place for me, because suddenly you connect with something that’s very hard to connect to, in a normal, present state.”
Musikalisch knüpft Thin Places an Liminality an, erweitert dessen künstlerische Handschrift jedoch um eine noch größere Intimität. Wo das Debüt von dichten Klanglandschaften geprägt war, ist der Nachfolger so reduziert und roh, dass er sich von klassischem Folk hin zu etwas Hypnotischem, fast Hymnischem entwickelt. Das Album entfaltet seine Kraft nicht durch Lautstärke, sondern durch feine Nuancen, kleine Gesten und subtile Details – es sagt mehr im Flüstern als andere Werke im Aufschrei.
Die Songs spiegeln eine Reise von der Dunkelheit ins Licht wider: Das gespenstische „Blue Hour“ kreist um ein filigranes Gitarrenmotiv, während „Prisoner“ klaustrophobisch und bedrückend wirkt. Doch das Album findet Wege hinaus – in die Helligkeit von „Dearest Life„, das von Stimme, Gitarre und flackernden Cello-Klängen getragen wird, oder in die meditative Ruhe von „Where There Is Only Silence„. Mit „Adrenaline“ schließt es strahlend und erhebend.
Die Intimität zeigt sich nicht nur in der Reduktion, sondern auch in den Details: Man hört das Quietschen der Saiten, dazu gesellen sich gefundene Klänge wie Regen oder knisterndes Laub. “The album is just so connected to me. … The rain for me has a big emotional meaning … because I think these sounds are also musical.”
Naturbilder – vom flüsternden Wind bis zu wachsenden Wurzeln – durchziehen das Album. Dahinter steht die Suche nach einem Gleichgewicht: ein Ökosystem, das in sich ruht, und der Wunsch, den eigenen Platz darin friedlich einzunehmen. Thin Places balanciert Kälte und Wärme, Dunkelheit und Licht, und lässt aus beiden Zuständen Schönheit entstehen.
Mit „Nook“ kündigte Minru das Album Thin Places an – und kaum ein Titel könnte passender sein. Der Song ist klein und sanft, aber zugleich durchdrungen von Wärme, Geborgenheit und dem Gefühl von Zuhause. Musikalisch baut Minru auf minimalistische Eleganz: Ein zartes, fingergepicktes Gitarrenmotiv zieht sich wie ein roter Faden durch den Song, ergänzt von schwebenden Bratschen-Passagen, leichten Pianonoten und ihrer unverwechselbaren Stimme – fragil, sehnsüchtig und doch voller Klarheit. Die reduzierte Instrumentierung schafft Weite, die jede Nuance atmen lässt. „Nook“ ist hypnotisch, fast tranceartig, und dennoch zutiefst menschlich.
“I wrote ‚Nook‘ for someone who was there for me during a really difficult time“, erzählt Minru. „Though life has since led us on separate paths, I’ll always be thankful for the support they gave me when I really needed it. The song is about those moments when anxiety becomes too much, when thoughts circle back on themselves and you can’t find a way out. But then there’s this person who, without trying, brings a sense of calm and security. Not by fixing things or saying the right words, just by being there. And that can be enough. I wanted the song to feel like that, like an ode to vulnerability”.
Als Opener des Albums Thin Places zeigt der Track exemplarisch, wofür Minru steht: eine feinsinnige Klangarchitektur, die das Unausgesprochene hörbar macht. Zwischen Indie-Folk, Ambient-Anklängen und fragiler Songwriter-Kunst erschafft sie Räume, die nicht nur gehört, sondern gespürt werden. „Nook“ ist dabei ein Rückzugsort für alle, die inmitten von Lärm und Geschwindigkeit einen Moment des Ankommens suchen.
Die zweite Single des Albums schloss sich dieser Ästhetik an. Es geht um die Schwere von Lebensentscheidungen und um die Angst, die sie verhindert. Menschen sind fähig, lange Zeit im Schatten einer Entscheidung zu leben, die sie nicht zu treffen wagen – manchmal über Monate, manchmal über Jahre. In diesem Schatten wirkt der nächste Schritt unendlich weit entfernt, gefangen zwischen der Angst, dass er niemals kommen wird, und der heimlichen Hoffnung, er möge nicht kommen. Minrus „Dearest Life„ erzählt davon, aus dieser Starre auszubrechen – vom befreienden Moment, endlich den Sprung zu wagen und das Leben fließen zu lassen, wohin es will. Ihre Stimme legt sich über den Song – getragen von flirrenden Gitarren– und Bratschen-Klängen – wie eine warme Brise. Damit entsteht das Gefühl eines freien Falls, das Wiederfinden einer inneren Stärke, die längst vergessen schien, und schließlich, im silbrigen Flüstern des Refrains, die Umarmung des Neuen, ganz gleich, was es bereithält.
Minru erzählt: “‘Dearest Life’ was written during a summer stay at my family’s cabin in the Swedish mountains, a time of year when the sun never fully sets. Surrounded by endless pine trees, rippling creeks, and swarms of hungry mosquitoes, I spent my days playing guitar, hiking, and sipping coffee on the terrace. I had been feeling stuck for a while, unable to make a decision or take a step toward change. But something about being in that place, surrounded by so much quiet, brought me back to a long-lost sense of freedom, and with it, a flow. One day, while mindlessly jamming on my guitar, this song just fell into place, as if it had been waiting for me to find it. The version on the album is the very first take I recorded during those simple, mountain days. Only the strings and piano were added later. I tried a few times re-recording the song in a studio, with better equipment and microphones, but it never quite captured the raw feeling of that initial moment. So, I decided to let go of perfection and keep the demo, the one recorded in that wooden cabin, with the summer night humming outside.”
„Hiemal“ ist abgeleitet vom lateinischen Wort für Winter und bedeutet so viel wie etwas, das diese Jahreszeit heraufbeschwört. Die gleichnamige Single von Minrus Album Thin Places trägt ein Stück dieser Kälte in sich – im Frösteln, das durch den Song zieht. Doch zugleich ist es ein Lied, das über das Eis, aus dem es geboren wurde, hinaus aufblüht. „Hiemal„ entfaltet seine Kraft aus der Schlichtheit: Akustikgitarre und Gesang verweben sich miteinander, begleitet nur von einem Hauch Viola, die ihren Weg mitgeht. Ein langsam brennendes, elegantes Stück, das die Macht hat, den Eindruck zu erwecken, die Welt um einen herum sei für einen Moment stillgestanden. Die Strophen wirken weich und frostig, doch im Refrain bricht ein wenig Sonne durch – ein schwacher, dünner Strahl, der die Wolken durchdringt. Gerade genug, um daran zu erinnern, dass bessere Zeiten kommen.
“For me, this song feels like winter, just like the title suggests. I wrote it during a brutally cold January, when everything outside was buried under snow and the days felt like they were swallowed by an endless darkness. But even in that quiet, dim space, this song represents hope for me. There’s this deep longing in it, to feel alive again, to bloom“, erzählt Minru.
Während viele Künstler:innen ihre Musik beim zweiten Album ausweiten und opulenter gestalten, geht Minru den entgegengesetzten Weg: Sie legt Schichten ab, offenbart Verletzlichkeit und gewinnt dadurch an Kraft. Das Herz und die Seele ihrer Songs werden stärker, gerade weil die Zuhörer:innen ihnen so nah kommen dürfen. Thin Places zeigt, wie viel Stärke in Offenheit liegt – und welch weite Wege Minru mit ihrer Musik noch beschreiten kann.
Credit: Sander Van de Pol