In These Dying Times heißt das am 11. Oktober 2024 auf Unique Records erscheinende dritte Album der deutsch-türkischen Sängerin und ihrer Band Suzan Köcher’s Suprafon. Die bereits veröffentlichten Vorab-Singles „Seventeen“ (VÖ: 13.06.) und „Sleepless Strangers“ (25.07.) geben einen ersten Einblick in die Klangfarben und das Facettenreichtum der neuen LP. Im Anschluss an die Albumveröffentlichung und einem Auftritt beim Reeperbahn Festival 2024 begibt sich das Viergespann aus Solingen im Oktober sowie November auf Deutschlandtournee, unter anderem mit Halt in Berlin, Hannover, Ulm, Lübeck und Bochum.
Auf den neun Tracks von In These Dying Times behandeln Suzan Köcher’s Suprafon Themen wie Selbstermächtigung, Eskapismus und den Umgang mit Ängsten. Erstmals wird die Band in ihrer Musik politisch und positioniert sich entschieden gegen Krieg und von Lügen sowie Hass geprägte Strukturen. Wieder einmal beweist das Quartett sein Gespür für eingängige Melodien, die Melancholie und eine unverkennbare positive Wärme vereinen. Dream-Pop und Psychedelic verbinden sich mit treibenden Disco-Elementen zu einem vielschichtigen, teils düsteren Kaleidoskop. Das Album ist ein Appell, sich in schwierigen Zeiten weiterzuentwickeln, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und nicht in Negativität, Depression oder Weltschmerz zu versinken.
Fünf Jahre ist es nun her seit ihrem letzten Longplayer Suprafon (2019). Eine Zeit in der die Band eine Vielzahl an Liveshows spielte (u.A. im WDR Rockpalast), neue Songs schrieb, sich aber letztendlich auch neu formierte. Eine Zeit, die Köcher nutzte, um an sich selbst zu arbeiten: „Als meine Musik damals öffentlicher geworden ist, habe ich meine Texte etwas mehr verklausuliert, weil ich Angst hatte, was Leute von mir denken könnten. Durch eine Therapie habe ich gelernt meine Ängste ein Stück weit loszulassen und habe angefangen persönlichere Songs zu schreiben. Es ist wie eine Art Superkraft, die man bekommt, wenn man es schafft Ängste abzulegen.“
Das neue Album, aufgenommen in den renommierten Maarweg Studios in Köln, spiegelt spürbar die aktuellen Unruhen und Ereignisse der Weltgeschichte wider. In These Dying Times thematisiert die Tragik unserer Zeit, das Gefühl der Ohnmacht und die wachsenden Risse in der Gesellschaft. Suzan Köcher’s Suprafon blicken dabei sowohl in die Zukunft als auch in die Vergangenheit und bleiben dennoch tief mit den eigenen Emotionen verbunden. „Ich glaube ich habe noch nie so viel Kraft, Schweiß und Tränen in Musik gesteckt wie in dieses Album. Gleichzeitig war ich aber noch nie so zufrieden mit meiner Musik, weil ich meine Visionen tatsächlich umsetzen konnte“, sagt Köcher über den Entstehungsprozess. „Ich habe zwar viel Druck empfunden, hatte aber auf der anderen Seite das erste Mal das Wissen und die Möglichkeiten mich künstlerisch vollkommen auszuleben“.
In der ersten Vorab-Single „Seventeen„ geht es um eine nicht erwiderte Liebe, Unsicherheit, Machtmissbrauch im Teenager-Alter und darum, wie es sich anfühlt, ausgenutzt zu werden und keinen Ausweg zu sehen – eine Erfahrung, die Suzan Köcher mit vielen jungen Frauen teilt. Radiomoderator Klaus Fiehe würdigte in seiner WDR-1LIVE-Show die Liebe zum Detail und kürte „Seventeen“ zu einen der besten Songs der Band.
Der Titeltrack „In These Dying Times“ thematisiert hingegendie Entzweiung der Gesellschaft und die gefährlichen Einflüsse, die uns immer weiter auseinandertreiben, bis wir uns nur noch als Feinde gegenüberstehen. Kriege und Klimakrise sorgen für gespaltene Lager zwischen denen tiefe Gräben liegen, obwohl es vielmehr um Zusammenhalt und Miteinander gehen sollte. Musikalisch wird der Song von Köchers eingängigen Synthesizern geprägt, die mal poppig, mal wild daherkommen und dabei nie die Melodiösität verlieren.
„Maybe I’m A Lemon„ ist ein metaphorischer Blick auf die Frage, nach der eigenen Identität. Ein in Früchte übersetzter Selbstfindungstrip – „Kinda bitter, kinda sweet / Little bits of me get stuck between your teeth“. Im Refrain treibt Köcher die Band dabei mit einer knarzigen Twang-Gitarre an, während im rhythmischen Instrumentalteil vorübergehend ihr rauer Bass-Synthie die Führung übernimmt.
„Sleepless Strangers„ ist eine schattige Fantasie, die sich auf der Schnittstelle von Dream-Pop und ‘60s Einflüssen befindet, ohne dabei in Retromanie zu verfallen. Inspiriert von Godards „Alphaville“ und der Eleganz von Françoise Hardy ist das Stück die Vertonung eines Films, der sich in Köchers Kopf abspielte. Das dazugehörige, von Köcher selbst mit der alten Videokamera ihrer Kindheit gedrehte Video, verewigt in vielschichtigen Bildern ihre Visionen und lädt zum cineastischen Eintauchen ein.
„Living In A Bad Place„, die dritte Vorab-Single des Albums, fängt das bedrückende Gefühl ein, ständig von Schatten verfolgt zu werden, die einen jederzeit einholen könnten. „And around the corner there’s a chance you might get somewhere / But you better run fast“. Gleichzeitig ist der Track kraftvoll und setzt dem düsteren Text des irischen Lyrikers Michael Cummins einen tanzbaren Disco-Beat entgegen, der in ekstatischen Instrumentalparts aufgeht.
„The Trip“ eröffnet die zweite Hälfte von In These Dying Times und wird von Köchers verzerrter Rhythmusgitarre dominiert. Im Verlauf fügen sich Julian Müllers melodische Lead– und Slide-Gitarren, der um drei mantraartige Akkorde kreisende Bass von Janis Rosanka und Dale Lohses stoische Drums harmonisch zusammen. Über allem schwebt Suzan Köchers ätherischer Gesang, begleitet von nocturnen Mellotron-Bläsern.
In „Camera“ und „Falling For Autumn„ herrschen die Melancholie der Vergänglichkeit und die Frage, was man von seinem Leben festhalten kann oder loslassen muss. Die Synthesizer-Melodien des Roland Juno 106 und Korg MS10 verschmelzen mit dem schimmernden Gitarrenspiel von Julian Müller, der ebenfalls als Produzent der Platte im Gespann mit Köcher den Klang prägt.
Zum Abschluss erzählt das knapp zehnminütige „Desert Air Motel„ von einem Trip durch kleine, halb verlassene Städte in der texanischen Wüste, den die Band nach ihren Auftritten beim SXSW Festival in Austin, Texas gemacht hat und knüpft damit thematisch an die vorangegangene Platte an. Die Lust an der Improvisation, die Suzan Köcher’s Suprafon in ihren zahlreichen Liveshows zelebriert, kommt hier vollends zum Ausdruck. Auch Michael Patrick St. Claire, der bereits auf dem Vorgänger-Album bei einem Song Trompete gespielt hat, findet seinen Platz in diesem Track. In den Ice Cream Factory Studios in Texas spielte er neben einer präzisen, Mariachi-inspirierten Melodie ein improvisiertes Jazz-Solo, das dem Song eine unerwartete Klangfarbe gibt. Die Trompeten werden schließlich von Echo-Synthies abgelöst, die wiederum von sphärischen Mellotron-Streichern, Glockenspielen, Gongs und einem pulsierenden Moog-Bass aufgefangen werden. Zum Schluss entlädt sich die gesammelte Kraft in einem Krautrock-Finale.
In These Dying Times vermischt Elemente der ersten Platte Moon Bordeaux (2017) mit dem Mut und dem Expirementierwillen des zweiten Albums Suprafon (2019) und verarbeitet dabei neue Einflüsse und Themen. „Ich habe mit 14 angefangen Songs zu schreiben, weil ich Angst hatte Dinge anzusprechen und Ablehnung zu erfahren. Musik war meine Art zu sagen, was ich denke“, erinnert sich die 29-Jährige. Es ist ein neues Kapitel, das Köcher als gereifte Künstlerin präsentiert, die mutig ihre persönliche und verletzliche Seite offenbart und ihre Zuhörer:innen daran teilhaben lässt. „Vielleicht finden sich Menschen in meinen Erlebnissen in der ein oder anderen Form wieder“, hofft Köcher. Die „future grand dame of psychedelic chanson“ (Nothing But Hope And Passion) ist zurück – stärker, präsenter und persönlicher als je zuvor
Das Album In These Dying Times von Suzan Köcher’s Suprafon erscheint am 11. Oktober 2024.
Foto: Fenna Jensma